vom 5.-7.12.1997 fand in der Evangelischen Akademie Arnoldshain die
Tagung
"Ethik der Mitgeschöpflichkeit praktisch:
Perspektiven für einen artgerechten Umgang mit Nurtztieren"
statt. Die folgende Erklärung wurde von Mitgliedern des Arbeitskreises
Umwelt der evangelischen Akademie Arnoldshain erarbeitet und mit den
Tagungsteilnehmern am 7.12.1997 diskutiert. Sie fand die Zustimmung
der überwiegenden Mehrheit der Anwesenden.
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Wir fordern dazu auf, die Nutzung von
Tieren zu überdenken, Leiden, wo irgend möglich zu vermeiden und
Gewalt auf das unumgängliche Maß zu beschränken.
( Synode der EKHN am 2.7.1995 )
Arnoldshainer Tiererklärung
1
- Das Mitgeschöpf Tier wird von Menschen nutzbar gemacht. Diese Nutzung
wird aus christlicher Sicht durch das Bekenntnis zur "Ehrfurcht vor dem
Leben" begrenzt.
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Tiere sind dem Menschen als Arbeitskraft, als Lebenspartner, Als
Forschungs- und Schauobjekt, als Nahrungsmittel und als Rohstoffliferant
nützlich.Diese Beziehung wird vom Menschen beherrscht. Christen werden
sich der daraus erwachsenen besonderen Verantwortung bewußt und bekennen
sich so zur "Ehrfurcht vor dem Leben". Diese Ehrfurcht konkretisiert
sich für viele in der Debatte um das Schlachten von Tieren und in der Forderung
nach der Reduktion des Fleischverzehrs.
Der vollständige Verzicht auf Fleisch ist für unsere Gesellschaft
kaum zu erwarten. So wird auch in Zukunft die Zucht und die Haltung
von Tieren zum Schlachten, ihr Transport und ihre Tötung nach Regeln
verlangen, die wir als Menschen um der Mitgeschöpflichkeit willen zu
formulieren haben.
Darum fragen wir nach Rahmenbedingungen und Grenzen für die von uns
als vertretbar angesehene Tiernutzung. Dabei stellen uns die Wissenschaftler
der Verhaltensforschung, der Ökologie und der Ökonomie das angemessene
Instrumentarium bereit.
2
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Die Nutzung von Tieren ist eine ständige ethische Herausforderung an
uns. Menschen müssen Nutztieren eine artgemäße Umwelt sichern und sie vor
der Gefahr bewahren, unnötige Leiden oder Gewalt zu erfahren. Dieser
Anspruch verleiht den artspezifischen Bedürfnissen von Tieren den Vorrang
vor kommerziellen Gesichtspunkten.
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Sowohl in der Agrar- und Ernährungs- in der Wasser- und in der
Forstwirtschaft, als auch in Wisenschaft und im Versuchswesen sowie in der
Nutzung von Tieren in der Freizeit besteht ständig die Gefahr, daß bei der
Zucht, bei der Haltung, im Transportgeschehen und bei der Schlachtung
Tiere über das unvermeidliche Maß hinaus leiden.
3
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Die Umsetzung ethologisch gesicherten Wissens in den Alltag der Tiernutzung
muß zunehmend wichtig werden.
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Die Ethologie als Lehre vom Verhalten der Tiere liefert längst
zahlreiche Erkenntnisse, die in der Praxis für eine artgemäße Tierhaltung
angewand werden müßten. Ihre Umsetzung wird vor allem durch Bedenken
verhindert, die in den möglicherweise höheren Kosten oder größerem
Arbeitsaufwand begründet sind.
4
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Die Zucht von Tieren darf sich nicht an isolierten Höchstleistungen oder
Modeerscheinungen orientieren. Stattdessen muß sie einen aktiven Beitrag
zur genetischen Vielfalt der Arten und Rassen leisten. Die Würde der Kreatur
darf nicht verletzt werden.
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Bei der Formulierung von Zuchtzielen sind Auswüchse zu vermeiden, die
ausschließlich von ökonomisch orientierten Nutzungsinteressen geprägt
sind. Insbesondere muß die Selbsterhaltung des Tieres gewährleistet
sein.
5
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Zur Diskussion um eine artgemäße Tiernutzung gehört, daß Fragen der
zwischenmenschlichen Gerechtigkeit weltweit sowie im Blick auf das Wohl
zukünftiger Generationen miteinbezogen werden. Die Nahrungskonkurrenz
zwischen Mensch und Tier ist zu vermindern. Die Tierfütterung ist auf
die Grundlage von Futtermitteln zu beschränken, die nicht direkt der
Ernährung von Menschen dienen. Dadurch würde auch die Zahl der
Nutztiere verringert.
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Zusammen mit der Forderung nach artgemäßer Haltung rücken die Prinzipien
ökologischer und sozialer Verträglichkeit erneut ins Blickfeld, die
bereits in der Agrardenkschrift der EKD von 1984 entfaltet worden
sind.
Das Brot der Armen darf nicht zum Futter für das Vieh der Reichen
werden. Dies ist angesichts der Ernährungssituation in zahlreichen
gering industrialisierten Regionen der Erde nicht zu verantworten.
Der Einsatz von Ackerflächen zur Futtererzeugung uß auf das der
betrieblichen Fruchtfolge dienliche Maß reduziert werden.
Etwa ein Viertel der landwirtschaftlich nutzbaren Flächen der Erde
besteht aus nicht ackerfähigen Wiesen und Steppenweiden. Sollen diese
Gebiete der menschlichen Ernährung weiterhin zur Verfügung stehen, so
müssen dort Tiere -insbesondere Wiederkäuer- gehalten und eben auch
dort geschlachtet werden.
6
- Haltungs- und Stallsysteme müssen konsequent Aspekte der
artgemäßen Haltung berücksichtigen.
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Immer noch drängen Haltungstechniken auf die Märkte, die ihren Anwendern
zwar einerseits arbeitswirtschaftöliche und damit finanzielle Vorteile
verschaffen, andererseits aber wenig artgemäß sind. Dieses Gefälle,
das nicht allein vom individuellen Tierhalter überwunden werden kann,
muß durch verbindliche rechtliche und technische Regulierungen
aufgehoben werden. Bei bestehenden Vorschriften sind entsprechende
Vollzugsdefizite zu beseitigen.
Die zugunsten einer artgemäßen Tierhaltung anfallenden Mehrkosten
sind auf Verbraucher oder Steuerzahler umzulegen, ohne daß dies mit
Marktnachteilen für den Tierhalter verbunden ist.
7
- Für Tiertransporte müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die
Schlachtviehtransporte nur bis zu den n ä c h s t g e l e g e n e n - g e e i g n e t e n
Schlachtstätten rentabel werden lassen und die
regionalen Versorgungssystemen Kostenvorteile vor Ferntransporten
verschaffen.
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Transporte von lebenden Masttieren u.a. aufgrund der "Herodesprämie"
sowie der Lebend-Export-Prämie sind besonders in das Kreuzfeuer der
Kritik geraten. Sie erfolgen, weil sie unter den bestehenden
Rahmenbedingungen rentabler sind als regionale Fleischversorgungssysteme
und der Gebrauch von Kühlfahrzeugen für Schlachthälften und Fleischwaren.
Solange sich an diesen Bedingungen nichts ändert, bleiben entsprechende
Verordnugen und Appelle Stückwerk.
8
- Das Töten und Schlachten ist nach Grundsätzen durchzuführen, die von
der Würde der Kreatur statt von Rentabilitätsgesichtspunkten geprägt
sind.
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Eine Verminderung des Fleischverzehrs bietet die Möglichkeit,
zusätzliche Menschen zu ernähren und eine Gelegenheit, ernährungsphysiologisch
vielfältiger und gesünder zu leben. Dieser weitergehende Fleischverzicht
soll im Rahmen einer Eßkultur des Genießens und eines entsprechenden
Qualitätsbewußtseins stehen.
9
- Die drängenden Fragen an die Gesellschaften moderner Industriestaaten
im Blick auf die Nutzung von Tieren nehmen zu. Das erfordert
nachvollziehbare Beurteilungskriterien.
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Die Nutzung von Tieren steht in der Regel unter dem einseitigen Primat ökonomisch
orientierter Rahmenbedingungen. Deren Gestaltung unterliegt
gesamtgesellschaftlichen Prozessen, die ethisch wenig bis garnicht
reflektiert werden.
Daran wird sich solange nichts ändern, wie der politische und
gesellschaftliche Konsens sich nicht auf andere Orientierungen
ausrichtet. Eine "ölologisch verpflichtete soziale Marktwirtschaft"
(vgl. Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung, Gütersloh 1985, S.46)
und ein regionaler, ökologischer und fairer Lebensstil haben
Leitbildfunktion.
Arnoldshain, den 7. 12. 1997